On part, quand on part.
(Wir fahren los, wenn wir losfahren.)
Es gibt keine Busfahrpläne. Einfach Ticket am
Schalter kaufen und einsteigen. Der Bus fährt los, wenn er voll ist. Und mit
voll sind etwa 32 Passagiere in einem Kleinbus mit der deutschen offiziellen
Zulassungszahl von 20-22 Passagieren gemeint. Das Gepäck kommt auf’s Dach. Ja,
auch die Ziege wird mittransportiert. Oben anbinden und schon kann sich das
Tier im Autosurfen üben. Klimaanlage geht nicht, sei kaputt. Aber sonst
funktioniert alles, meint der Fahrer zu mir. Sei ja schließlich ein Auto aus
Deutschland. Ich lehne mich aus dem Fenster und sehe den schwarzen Rauch, den
wir hinter uns herziehen. Hauptsache die Karre fährt. TÜV wird überbewertet.
Die Frontscheibe hat große Risse – Erschütterung oder Steinschlag sei Dank.
Darauf ein Sticker mit der Aufschrift „Dieu est avec nous“ – „Gott ist mit uns“
oder „Qui attend Dieu n’est jamais pressé“ – „Wer Gott folgt, hat’s niemals
eilig“.
Aus dem Radio tönt Kirchenmusik und der halbe Bus
singt in allen Tonlagen mit. Die andere Hälfte schläft. Damit die Gliedmaßen
nicht einschlafen, ändert man so hin und wieder seine Position und findet immer
wieder neuen Körperkontakt mit den Sitznachbarn. Buch lesen mit
zusammengepressten Ellenbogen macht auf Dauer dann auch keinen Spaß mehr. Von
Bafoussam nach Yaoundé sind es sechs Stunden. Ich wohne in der Mitte der
Strecke. Also nur halb so langes Leiden für mich wie für die restlichen Bus-Sardinen.
Auf dem Markt in Makenéné gibt’s eine Pinkelpause. „5 Minuten, nur 5 Minuten“,
beharrt der Fahrer. Alle stürmen aus dem Bus und klettern über die Sitze. Die
Männer pinkeln an den Straßenrand, Frauen waten durch das Gebüsch und
verschwinden hinter den hohen Gräsern.
Um den Bus herum sind die fliegenden
Händler – Erdnüsse, Taschentücher, Taschen, Melonen, Pflaumen, Maniok, gekochte
Eier, Bananen – damit beschäftigt, ihre Produkte anzubieten. Die Ware kommt zum
Kunden, nicht der Kunde zur Ware. Zehn Meter weiter sitzen die Frauen hinter
ihren aufgetürmten Orangen, Bohnen, Kohlköpfen oder Melonen. Für’s Abendbrot
kaufe ich Papayas ein. Und morgen gibt’s dann Bohnen und Karotten. Wassermelone
sieht auch noch gut aus. Der Bus hupt. Und der Fahrer spielt mit dem Gaspedal.
Also schnelle zurück zum Bus. Die afrikanische Gelassenheit hat aus fünf
schnell zwanzig Minuten werden lassen. Ich quetsche mich zurück in den Bus und
packe meine Einkäufe kurzerhand auf den Schoß meiner Sitznachbarin, bis ich die
bequemste der unbequemen Sitzpositionen versuche einzunehmen. Danach quetscht
sie sich an meine rechte Körperseite, gibt mir meine Einkäufe zurück und packt
ihre noch mitauf. Sie quetscht sich an meine Seite und sucht eine Sitzposition,
bevor ihr rechter Nachbar sich „setzt“. Und so geht es weiter, bis die Bustür
zugeschoben wird. Wenn alle Bussardinen wieder Kirchenlieder singen oder zum
Singsang dösend dahinwippen, rattert der Bus weiter über Kameruns
Überlandstraßen. Immer schön die Schlaglöcher umfahren. Manchmal auch einfach
rein, wenn ein LKW auf der anderen Seite der Stärkere ist. Aber das
Quetsch-Sitznachbarsystem funktioniert bestens. Airbags können einpacken. Bei
einem Unfall wäre ich durch die Körpermasse meiner Nachbarn so geschützt, dass
ich nicht mal durch den Bus katapultiert werden würde. Kommt ein Motorradfahrer
auf der Gegenseite und ein Schlagloch zur selben Zeit, hat der Motorradfahrer
eben Pech und blickt auf die Frontseite des Busses. Für die tut’s ja auch der
Seitenstreifen zum Ausweichen.
„Geht’s bei Ihnen?“, frage ich meine
Sitznachbarin. Eine Omi mit meiner doppelten Breite, langen Rastazöpfen und
einem Dekolleté, das mir die ganze Fahrt über ins Gesicht gedrückt wird.
„Ja,ja, Kindchen. Alles wird gut.“ Ich frage sie nach ihren Perlenarmbändern.
Ich verstehe ihre Antwort nicht – ist ein Mischmasch aus einem Dialekt und
Französisch. Also hake ich nach. Und da erklärt mir die Frau, die vor mir
sitzt: „Die Armbänder bedeuten die erfolgreiche Geburt von Zwillingspaaren.
Zwei Armbänder für ein Zwillingspaar.“ Aha. Die Omi trägt vier Armbänder. Also
zwei Zwillingspaare nach Adam Riese. Ich gratuliere ihr zu den zwei
erfolgreichen Zwillingsgeburten. Sie nickt mir zu und erzählt, dass sie
insgesamt neun Kinder hat. Die Dame vor mir sieht wohl in meinem Gesicht, dass
ich beeindruckt bin. Habe ja schon viel von afrikanischen Großfamilien gehört, aber
neun ist mal eine Ansage. Und so bekomme ich die ganze Familiensage erzählt.
Die Zeit verfliegt.
Der Fahrer hält an der Kreuzung an, die in mein
Dorf führt. Mein krampfender rechter Pobackenmuskel ist erlöst. Ich
verabschiede mich mit einem „Au revoir tout le monde et bonne semaine“ – „Auf
Wiedersehen und gute Woche“ von der Runde und blicke in die Gesichter, die mir
nickend Tschüss sagen und mir – falls Hände frei und nicht zwischen Taschen
gequetscht – zuwinken.
Ich habe das Gefühl, ich verabschiede mich nicht von
Fremden. Dafür bin ich ihnen zu nah gewesen, habe den Schweiß gerochen, Blicke
ausgetauscht, fasziniert ihre Flechtfrisuren beobachtet, ihre Ellbogen in
meinen Rippen gespürt, von ihren Keksen probiert, ihnen beim Verladen und
Verstauen des Gepäcks geholfen, mit ihnen gesummt und zur Musik gewippt, mit ihnen bei
offenem Fenster im Fahrtwind geduscht und ihre Wärme und Nähe gespürt. Zusammen
geschmunzelt. Zusammen diskutiert. Zusammen gelacht.
Zusammen auf dem Weg. Schöner als alleine.
Au revoir. Bis zum nächsten Mal.
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