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Friday, September 13, 2013

Pobacken zusammenbeißen! -- Zusammen unterwegs in Kamerun.




  On part, quand on part.
(Wir fahren los, wenn wir losfahren.)


Es gibt keine Busfahrpläne. Einfach Ticket am Schalter kaufen und einsteigen. Der Bus fährt los, wenn er voll ist. Und mit voll sind etwa 32 Passagiere in einem Kleinbus mit der deutschen offiziellen Zulassungszahl von 20-22 Passagieren gemeint. Das Gepäck kommt auf’s Dach. Ja, auch die Ziege wird mittransportiert. Oben anbinden und schon kann sich das Tier im Autosurfen üben. Klimaanlage geht nicht, sei kaputt. Aber sonst funktioniert alles, meint der Fahrer zu mir. Sei ja schließlich ein Auto aus Deutschland. Ich lehne mich aus dem Fenster und sehe den schwarzen Rauch, den wir hinter uns herziehen. Hauptsache die Karre fährt. TÜV wird überbewertet. Die Frontscheibe hat große Risse – Erschütterung oder Steinschlag sei Dank. Darauf ein Sticker mit der Aufschrift „Dieu est avec nous“ – „Gott ist mit uns“ oder „Qui attend Dieu n’est jamais pressé“ – „Wer Gott folgt, hat’s niemals eilig“.
Aus dem Radio tönt Kirchenmusik und der halbe Bus singt in allen Tonlagen mit. Die andere Hälfte schläft. Damit die Gliedmaßen nicht einschlafen, ändert man so hin und wieder seine Position und findet immer wieder neuen Körperkontakt mit den Sitznachbarn. Buch lesen mit zusammengepressten Ellenbogen macht auf Dauer dann auch keinen Spaß mehr. Von Bafoussam nach Yaoundé sind es sechs Stunden. Ich wohne in der Mitte der Strecke. Also nur halb so langes Leiden für mich wie für die restlichen Bus-Sardinen. Auf dem Markt in Makenéné gibt’s eine Pinkelpause. „5 Minuten, nur 5 Minuten“, beharrt der Fahrer. Alle stürmen aus dem Bus und klettern über die Sitze. Die Männer pinkeln an den Straßenrand, Frauen waten durch das Gebüsch und verschwinden hinter den hohen Gräsern. 



Um den Bus herum sind die fliegenden Händler – Erdnüsse, Taschentücher, Taschen, Melonen, Pflaumen, Maniok, gekochte Eier, Bananen – damit beschäftigt, ihre Produkte anzubieten. Die Ware kommt zum Kunden, nicht der Kunde zur Ware. Zehn Meter weiter sitzen die Frauen hinter ihren aufgetürmten Orangen, Bohnen, Kohlköpfen oder Melonen. Für’s Abendbrot kaufe ich Papayas ein. Und morgen gibt’s dann Bohnen und Karotten. Wassermelone sieht auch noch gut aus. Der Bus hupt. Und der Fahrer spielt mit dem Gaspedal. Also schnelle zurück zum Bus. Die afrikanische Gelassenheit hat aus fünf schnell zwanzig Minuten werden lassen. Ich quetsche mich zurück in den Bus und packe meine Einkäufe kurzerhand auf den Schoß meiner Sitznachbarin, bis ich die bequemste der unbequemen Sitzpositionen versuche einzunehmen. Danach quetscht sie sich an meine rechte Körperseite, gibt mir meine Einkäufe zurück und packt ihre noch mitauf. Sie quetscht sich an meine Seite und sucht eine Sitzposition, bevor ihr rechter Nachbar sich „setzt“. Und so geht es weiter, bis die Bustür zugeschoben wird. Wenn alle Bussardinen wieder Kirchenlieder singen oder zum Singsang dösend dahinwippen, rattert der Bus weiter über Kameruns Überlandstraßen. Immer schön die Schlaglöcher umfahren. Manchmal auch einfach rein, wenn ein LKW auf der anderen Seite der Stärkere ist. Aber das Quetsch-Sitznachbarsystem funktioniert bestens. Airbags können einpacken. Bei einem Unfall wäre ich durch die Körpermasse meiner Nachbarn so geschützt, dass ich nicht mal durch den Bus katapultiert werden würde. Kommt ein Motorradfahrer auf der Gegenseite und ein Schlagloch zur selben Zeit, hat der Motorradfahrer eben Pech und blickt auf die Frontseite des Busses. Für die tut’s ja auch der Seitenstreifen zum Ausweichen.



„Geht’s bei Ihnen?“, frage ich meine Sitznachbarin. Eine Omi mit meiner doppelten Breite, langen Rastazöpfen und einem Dekolleté, das mir die ganze Fahrt über ins Gesicht gedrückt wird. „Ja,ja, Kindchen. Alles wird gut.“ Ich frage sie nach ihren Perlenarmbändern. Ich verstehe ihre Antwort nicht – ist ein Mischmasch aus einem Dialekt und Französisch. Also hake ich nach. Und da erklärt mir die Frau, die vor mir sitzt: Die Armbänder bedeuten die erfolgreiche Geburt von Zwillingspaaren. Zwei Armbänder für ein Zwillingspaar.“ Aha. Die Omi trägt vier Armbänder. Also zwei Zwillingspaare nach Adam Riese. Ich gratuliere ihr zu den zwei erfolgreichen Zwillingsgeburten. Sie nickt mir zu und erzählt, dass sie insgesamt neun Kinder hat. Die Dame vor mir sieht wohl in meinem Gesicht, dass ich beeindruckt bin. Habe ja schon viel von afrikanischen Großfamilien gehört, aber neun ist mal eine Ansage. Und so bekomme ich die ganze Familiensage erzählt. Die Zeit verfliegt.
Der Fahrer hält an der Kreuzung an, die in mein Dorf führt. Mein krampfender rechter Pobackenmuskel ist erlöst. Ich verabschiede mich mit einem „Au revoir tout le monde et bonne semaine“ – „Auf Wiedersehen und gute Woche“ von der Runde und blicke in die Gesichter, die mir nickend Tschüss sagen und mir – falls Hände frei und nicht zwischen Taschen gequetscht – zuwinken. 

Ich habe das Gefühl, ich verabschiede mich nicht von Fremden. Dafür bin ich ihnen zu nah gewesen, habe den Schweiß gerochen, Blicke ausgetauscht, fasziniert ihre Flechtfrisuren beobachtet, ihre Ellbogen in meinen Rippen gespürt, von ihren Keksen probiert, ihnen beim Verladen und Verstauen des Gepäcks geholfen, mit ihnen gesummt und zur Musik gewippt, mit ihnen bei offenem Fenster im Fahrtwind geduscht und ihre Wärme und Nähe gespürt. Zusammen geschmunzelt. Zusammen diskutiert. Zusammen gelacht.
Zusammen auf dem Weg. Schöner als alleine.

Au revoir. Bis zum nächsten Mal.










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